
Der taz-Redakteur und NDR-Blogger
Jan Feddersen ist schon lange bekannt als Eurovisions-Experte, sein Standardwerk
Ein Lied kann eine Brücke sein liegt bei mir stets bereit, wenn ich einen ESC-Jahrgang bis 2001 im Videorecorder liegen habe, so lange ist die letzte Auflage nämlich schon her. Nun also gibt es ein neues Buch, wer aber mutmaßt, es könne sich um die langersehnte erweiterte Neuauflage handeln, irrt. Statt eines reichbebilderten Lehrbuchs über Sieger und Verlierer durch die Geschichte hält man ein etwas überdimensioniertes Taschenbuch in Händen, das vor allem dann sehr dröge daherkommt, wenn man von hinten hineinblättert: Dort reiht sich Tabelle an Tabelle, erst eine Übersicht über alle Jahrgänge, dann über alle Teilnehmerländer mit Punkten und Plazierungen. Die ersten 190 Seiten des Buches hingegen sind essayhafte Abhandlungen über das Wesen des Eurovision Song Contests. Und trotz eines kleinen Farbteils in der Mitte mit Fotos von Assia bis Rybak muß man sagen, es handelt sich um ein optisch eher karges Werk der Sachliteratur.
Es ist die Frage der Zielgruppe, mit der man sich bei der Betrachtung dieses Buches als erstes befassen muß: Wer kauft ein Buch über den ESC? Der Schlagerfeind, der die Sendung noch nie gesehen hat, derweil nicht einmal weiß, daß es sich überhaupt nicht (mehr) um ein Schlagerfestival handelt, und der jedes Jahr im Mai ein paar Haßtirarden abläßt und sich in Häme suhlt, wenn Deutschland wieder mal nicht gewinnt? Sicher nicht. Der mild interessierte Mitmensch, der sich das mal anschaut, weil es ja doch ganz amüsant ist und man hinterher mitreden kann? Auch eher nicht. Das ist ein Buch für Fans. Nicht nur Hardcore-Fans, natürlich, ich weiß nicht, wie groß dann die Auflage wäre, und der Aufbau-Verlag ist jetzt kein Zwerg in der Verlagslandschaft, aber doch Fans. Leute, denen man nichts mehr über Abba erzählen muß oder über Nicole. Leute, die mit Namen wie Aud Wilken oder Marion Rung etwas anfangen können: An die richtet sich dieses Buch. Aber diesen Leuten muß man nicht mehr viel erzählen, weil sie das im Zweifelsfall schon wissen. Das Buch ergeht sich also viel in Anekdoten, Anspielungen und Andeutungen, und statt »Vernehmet, wie es sich zugetragen…« liegt ein ständiges »Weißt du noch, damals, nudge-nudge« in der Luft. Das macht die Lektüre sehr angenehm, wenn man nicht mehr bei Null steht; wer aber gerade erst seine Liebe zum ESC entdeckt hat und im Eiltempo 50 Jahrgänge oder mehr aufzuholen hat, den dürfte das Buch überfordern: Er sollte sich besser antiquarisch nach Feddersens
Brücke umtun.